Im Auftrag des Sternenkönigs
- eine Rollenspielkampagne für Splittermond -



Zu den Abenteurern

Die Kirche des Starrekyng ist in Nyrdfing angetreten, um den Menschen Ordnung, Gerechtigkeit und Frieden zu bringen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan, wenn man sich die Nachbarn Nyrdfings einmal genauer ansieht: die wilden Vaigarr der Wälder, die Barbaren aus Tir Durghachan, die verrückten Gnome von Dalgardsmyr, das expansionistische Kaiserreich Selenia oder gar das von Monstern verseuchte Unreich.

Während man die Sicherung der weltlichen Grenzen aber noch den Rittern und ihren Gefolgsleuten überlassen kann, bleibt es Aufgabe der Kirche, eine viel schwierigere Grenze zu sichern: die zu den Sphären der Feen und Geister. Immer wieder treten Geschöpfe, die es eigentlich nicht (oder nicht mehr) geben sollte, in die Welt der Sterblichen und verbreiten dort Angst und Schrecken. Und wann immer der Verdacht besteht, dass dies geschieht, entsendet die Kirche ihre Agenten...

Unsere Abenteurer gehören nun genau zu diesen Spezialisten. Sie sind Agenten im Auftrag der Kirche, deren Aufgabe darin besteht, Geschöpfe aus den anderen Sphären aufzuspüren und dorthin zurückzusenden, wo sie hergekommen sind.

Zur Kampagne

Eigentlich habe ich habe diese Kampagne begonnen, weil ich gerade zu wenig Zeit habe, eigene Szenarien zu schreiben. Ich habe aber in meiner Sammlung ziemlich viele Abenteuer liegen, die für eine solche Monsterjäger-Kampagne geeignet sind und jetzt "nur" so angepasst werden müssen, dass sie nach Lorakis im Allgemeinen und nach Nyrdfing im Besonderen passen.

Das Land Nyrdfing schien mir dabei eine naheliegende Wahl. Mit seinen dichten Wäldern, seiner wilden Natur und den kleinen Weilern und Städten bietet es viel Raum für Feen- und Gespenstergeschichten. Zudem haben wir hier eine starke, auf Ordnung bedachte Kirche, die sich im Machtkampf mit dem im Verfall befindlichen Adel befindet. So ist nie klar, ob die Agenten an ihrem nächsten Einsatzort von den Autoritäten unterstützt, ignoriert oder gar behindert werden.


Nachtfalke

Im Laufschritt eilte Alfgar die Treppe hinauf, immer zwei Schritte auf einmal nehmend. Seine Stiefel hallten von den kargen Steinwänden des Klosters wider. Sein Pferd stand in diesem Augenblick dampfend vor Anstrengung unten im Hof, und er konnte nur hoffen, dass der Mönch, der ihm die Zügel abgenommen hatte, es gut versorgen würde. Er selbst hatte Wichtigeres zu tun; wer wusste, ob er nicht ohnehin schon zu spät kam?
Vor ihm lag ein langer Gang. Obwohl er seit Jahren nicht mehr hier gewesen war, fand er die Tür auf Anhieb. Er hielt an, versuchte seinen Atem zu beruhigen, dann klopfte er, so fest er es wagte. Er hielt den Atem an, als er auf Antwort lauschte.
"Tretet ein!"
Die Stimme war ihm unbekannt, keinesfalls gehörte sie seinem Großvater. Dennoch ließ sich Alfgar nicht zweimal bitten und öffnete die Tür.
Die Kammer war noch ganz so, wie er ihn in Erinnerung hatte. Klein und dunkel, mit einem schmalen Fenster, das nur wenig Licht hereinließ. Wenig mehr als die karge Zelle eines Mönches, doch die Wände waren mit eigenartigen Trophäen geschmückt. Fremdartige Waffen, filigrane Kunstwerke aus Glas oder Holz, Geweihe von Tieren, die Alfgar noch nie gesehen hatte. Eine Truhe, ein Gebetstisch, ein Kohlebecken. Und das Bett, auf dem sein Großvater lag.
Alfgar konnte sich nicht erinnern, den alten Mann jemals anders als aufrecht und voll entschlossener Kraft gesehen zu haben. Umso mehr schmerzte es, ihn nun so vorzufinden: Schwach und bleich, mit fiebrigen Augen, bedeckt von wärmenden Decken und behütet von einem Mönch, der Alfgar wortlos fragend anblickte.
"Großvater!" Der junge Mann wollte auf den alten zueilen, doch der Mönch hob mahnend die Hand ob seines Ungestüms.
"Im Namen Starrekyngs, haltet ein! Meister Goderic ist sehr schwach. Das Licht verlässt ihn. Ihr dürft ihn nicht überfordern."
"Unsinn!" war die zitternde, aber entschlossene Stimme des alten Mannes vom Bett her zu vernehmen. Er versuchte sich hochzustemmen, was ihm aber nicht gelang. Sichtlich verärgert ließ er sich wieder auf die Kissen zurücksinken, Schmerz war in seinem Gesicht zu erkennen. Dennoch ließ er sich nicht abhalten: "Geduld ist etwas für die, die Zeit haben. Aber ich weiß selbst, dass das Licht Starrekyngs mich verlässt. Der Splitter schwächt mich mit jedem Atemzug mehr. Bruder Aelfward, ich weiß eure Fürsorge zu schätzen, aber es gibt so viel, was ich meinem Enkel erklären muss, bevor es zu spät ist. Seid so gut und lasst uns für eine Weile allein."
"Wie ihr wünscht." entgegnete der Mönch, und zu Alfgars Überraschung leistete er der Aufforderung des Alten tatsächlich Folge. Ohne ein weiteres Wort schritt er aus dem Raum, und in seiner Lautlosigkeit und mit seinen schwarzen Gewändern erinnerte er Alfgar an nichts so sehr wie an einen Schatten, der zur Tür hinausgeweht wurde.

"Großvater, was ist geschehen? Das letzte Mal, als ich euch sah, schient ihr vor Kraft zu strotzen, und nun..."
"Ja, nun haben sie mich endlich erwischt." entgegnete der Alte grimmig.
"Wer sind 'sie'? Ich werde euch rächen, wenn..."
Die Hand des Alten schoss mit überraschender Schnelligkeit vor und packte Alfgar am Ärmel. Meister Goderic zog ihn zu sich heran und flüsterte mit großem Nachdruck:
"Darum geht es ja. Darum habe ich dich kommen lassen. Es wird Zeit, dass du es erfährst. Zeit, dass du lernst, was dein alter Großvater all die Jahre wirklich getrieben hat. Zeit, dass du lernst, wer der FEIND wirklich ist!"

Wenig später saß Alfgar auf einem Schemel neben dem Bett und lauschte dem Bericht des alten Mannes. Sein ganzes Leben lang hatte er geglaubt, dass Meister Goderic als Leibwache eines Friedensrichters durch das Land zog und dem Goden mit Rat und Schwert zur Seite stand. Doch nichts davon, so musste er erfahren, war wahr.
"Sag mir, Alfgar, wer ist der größte Feind Nyrdfings?"
"Nun, das muss gewisslich Selenia sein!" entgegnete der junge Mann voller Überzeugung. "Der Kaiser dort schielt schon lange mit gierigen Augen auf unsere Länder, und munkelt man nicht, dass die Selenier sogar etwas mit dem Verschwinden König Eardins zu tun haben? Gewiss sind auch die Durghach und die Vaigarr eine Plage, doch unser größter Feind ist gewisslich Selenia."
"Unsinn!" fuhr der Alte auf. "Unbedeutender Kinderkram! Nichts davon ist von Bedeutung!"
Der Respekt vor dem Alter verbot es Alfgar, seinem Großvater zu widersprechen, doch er begann sich ernsthaft zu fragen, ob der Fieberwahn nicht doch schon mehr von ihm Besitz ergriffen hatte, als ihm klar war. Gewisslich konnte es doch keinen größeren Feind geben als ein Reich, das nicht nur fünfmal so groß war wie das heimatliche Nyrdfing, sondern auch seit Jahren aggressiv seine Grenzen in alle Richtungen erweiterte und keine Gelegenheit ausließ, seine Nachbarn zu schwächen und zu demütigen? Dann aber kam ihm eine Idee:
"Ach nein, halt, ich weiß es: Catley - das Tor - die Termark - die Orks! Ihr meint die Orks!"
"Der Mondpfad? Papperlapapp! Wie sollten sie einen Heerzug durch das Reich Eliamels führen, vorbei an unseren Truppen und denen der Durghach? Ach, es gibt so vieles, was du nicht weißt. Wusstest du beispielsweise, dass der Pfad noch vor wenigen hundert Jahren 'Windsteig' hieß und dass die Minen und Städte am anderen Ende ebenso selbstverständlich zu Nyrdfing gehörten wie dieses Kloster?"
Alfgar stand der Mund offen vor Staunen: "Ist das wirklich wahr? Aber das ist ja..."
"Wissen, mein Enkelsohn, Wissen. Ein kostbares Gut in diesen Zeiten, und eine Waffe in den richtigen Händen. Es gibt so vieles, was man dem gemeinen Volk nicht sagt, um es nicht zu verwirren oder zu verunsichern. So wie die Sache mit dem wahren Feind - den Feen!"
"Die Feen? Aber die haben wir doch im Griff. Ab und zu versuchen sie es mal, hier Fuß zu fassen, aber dann verschwinden sie ebenso schnell wieder, wie sie gekommen sind..."
"Tun sie das?" Der Alte klang nun ernsthaft ärgerlich. "Hast du nur den Hauch einer Vorstellung, wie mächtig sie wirklich sind? Weißt du, was ein Feenfürst wirklich ist? Er ist die Inkarnation einer ganzen Domäne der Magischen Königreiche. Ein König gewissermaßen, aber einer mit fast unbegrenzter magischer Macht. Was er nicht besitzt, kann er sich erschaffen - einfach so, mit einem Fingerschnippen."
"Ja, aber..." Alfgar wählte seine Worte jetzt mit Bedacht, weil er seinen Großvater nicht noch mehr aufregen wollte, "wenn sie so mächtig sind, warum sehen wir dann nicht mehr von ihnen?"
"DAS ist zur Abwechslung mal eine gute Frage. Warum sehen wir nicht mehr von ihnen, wo sie doch in Tir Durgachan an der Tagesordnung zu sein scheinen? Wo unsere nördlichen Nachbarn in Angst und Schrecken leben vor dem Glasdrachen, der Stechginsterkönigin, der Hetzerin der Spiegelnden Schatten oder vor der Herrin der Gläsernen Tränen? Ich will es dir sagen: Wir sehen nicht mehr von ihnen, weil wir sie bekämpfen. Bei Tag und bei Nacht. In jeder Stunde, in der dort draußen die guten Menschen von Nyrdfing, die Bauern und Bäcker und Kerzenzieher und Zimmerleute, in ihren Betten liegen und schlafen oder sich vor den argen Seleniern fürchten. Die Kirche des Starrekyng wacht über sie und entsendet ihre Streiter, wo immer auch nur der Hauch eines Verdachts aufkommt, dass eine Dunkle Fee ihre gierigen Hände nach dem Diesseits ausstreckt. Denn das tun sie, mein Enkelsohn, das tun sie. Und weißt du auch warum?"
Alfgar war so verwirrt, dass er nur noch stumm den Kopf schütteln konnte, und so sprach der Alte weiter, seine Stimme schon nur noch ein heiseres Flüstern:
"Weil sie hier im Diesseits frei sind von den Zwängen ihrer eigenen Welt. Dort, wo sie herkommen, mögen sie mächtig sein, aber sie können nie etwas anderes sein als das, was ihre Welt in ihnen sieht. Sie werden nicht geboren und können nicht sterben. Sie können nichts verändern, sind nichts als Schauspieler in einem Stück, das wieder und wieder aufgeführt wird. Hier aber, im Diesseits, in unserer Welt, können sie ALLES sein. Und wenn sie dieses Verlangen ergreift, dann schrecken sie vor nichts zurück. Vor nichts."

Die Rede hatte Meister Goderic so erschöpft, dass er pausieren musste. Alfgar reichte ihm den Kelch mit dem warmen Kräutersud und half ihm zu trinken. Das gab ihm Zeit, nachzudenken, und er begann zu ahnen, was der Alte ihm sagen wollte. Er schaute sich um, und zum ersten Mal sah er das Zimmer mit anderen Augen. Dies war keine Kammer, in der jemand lebte - es war ein Trophäenzimmer. Die ganzen Gegenstände dort an den Wänden: Wenn man sie mit offenem Blick betrachtete, dann war jeder von ihnen andersartig, nicht von menschlichen Händen geschaffen. Wie alle Nyrdfinger hatte er natürlich vom Glimmer gehört, von dem schönen Schein, mit dem alle feeischen Dinge umgeben waren, und plötzlich wagte er nicht mehr, diese Gegenstände anzusehen aus Furcht, zu erkennen, was sich dahinter wirklich verbarg.
"Ich sehe, du hast verstanden." stellte Meister Goderic nüchtern fest, seine Stimme nur noch ein Hauch. "Ich habe den Kampf lange gekämpft, aber nun ist meine Zeit vorbei. Ich muss das Schwert weitergeben" - er zeigte auf den mächtigen Anderthalbhänder aus fast weißem Metall, der neben den Bett in einem Waffenständer befestigt war - "und ich möchte, dass DU ihn führst. Gegen den wahren Feind, gegen die dunklen Feen. Ich möchte, dass du meine Nachfolge antrittst... bei den Nachtfalken..."

Bruder Aelfward hatte die ganze Zeit über auf dem Gang gewartet, in ausreichendem Abstand, um nicht zu lauschen. Als sich die Tür öffnete, wandte er sich um. Der junge Alfgar war ernst und gefasst, als er sagte:
"Er ist tot, möge Starrekyng seine Seele zu den Sternen führen. Er hat es verdient."
"Mein Beileid, junger Freund. Wenn ich etwas für euch tun kann in dieser schweren Stunde..."
"Ja, das könnt ihr. Führt mich zu Meister Gavain - es war sein letzter Wunsch."
Bruder Aelfward nickte nur stumm. Er verstand. Der junge Aelfward war im Begriff, das Erbe seines Großvaters anzutreten. Und vermutlich ahnte er noch immer nicht, wer der alte Mann wirklich gewesen war.


Last update on May 23, 2016
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